Saubere Energie – eine Chronik

Chris Goodall, Ökonom und Autor des gefeierten Buchs „What we need to do now for a zero carbon future“, fasst die Entwicklungen in der Branche für saubere Energie aus seiner Sicht zusammen.

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Von der Nutzung einer neuen Baumart für die Absorption von CO2 in Grossbritannien bis hin zu Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff – wir berichten über einige der spannendsten Ideen zur Bewältigung des Klimawandels, auf die wir im vergangenen Monat gestossen sind.

1. Synthetische Treibstoffe für die Luftfahrt. Verschiedene Projekte haben den Standort ihrer ersten Anlagen für die Herstellung von synthetischem Treibstoff bekanntgegeben, in denen hauptsächlich Kerosin für die Luftfahrt hergestellt werden soll. Dafür werden CO2 und klimafreundlicher Wasserstoff benötigt. In Norwegen kündigten Norsk eFuels und der Spezialist für direkte Luftabscheidung Climeworks an, dass sie eine Raffinerie im Norden des Landes bauen wollen. Dort ist Elektrizität im Überfluss vorhanden, sodass kostengünstig grüner Wasserstoff erzeugt und CO2 abgeschieden werden kann. Auf dem Gelände von ArcelorMittal in Dünkirchen wird eine Anlage gebaut, wo Engie und das US-Startup Infinium Brennstoff aus Wasserstoff und CO2 aus dem Stahlwerk herstellen werden. In der Nähe von Porto wollen Veolia und seine Partner eine Anlage bauen, die CO2 aus Siedlungsabfällen nutzt. Sasol und Engie haben sich mit dem deutschen Pionier Ineratec zusammengeschlossen, um in Frankfurt Brennstoffe aus CO2 herzustellen, das aus einer Biogasanlage stammt.

2. Kohlenstoffbindung in Bäumen. Über Crowdfunding wird in Grossbritannien Geld für die Anlage eines Waldes mit Paulownien, einer schnell wachsenden asiatischen Hartholzart, auf einer 200 Hektar grossen Ackerfläche, deren Bodenqualität sich verschlechtert, gesammelt. Das wird die erste Kultur dieser Art in dem Land sein. Die deutsche Baumschule, die die sterilen und nicht invasiven jungen Bäume liefert, sagt, dass Paulownien in vielen Böden zehnmal so viel CO2 binden wie die heimische Eiche. Das Holz kann für eine Vielzahl nicht tragender Konstruktionen, wie z.B. Möbel, verwendet werden. Das Vereinigte Königreich ist gemessen an seiner Grösse das am wenigsten bewaldete Land in Europa und hat Probleme, die Baumpflanzungsrate zu erhöhen. Paulownia-Hartholz kann die Umwandlung von degradiertem Ackerland in produktiven Wald erheblich erleichtern.

3. Planbarer Ökostrom. Sonne und Wind sind unberechenbare, diskontinuierliche Energiequellen. Die ersten Standorte für die Produktion von erneuerbarer Energie werden so geplant, dass der aus überschüssigem Strom erzeugte Wasserstoff für die Stromproduktion genutzt wird, wenn Wind und Sonne gerade nicht verfügbar sind. Zwei dieser Projekte werden von Konsortien entwickelt, die mit Hydrogène de France zusammenhängen. Das eine wird im französischen Übersee-Departement Französisch-Guayana gebaut, das andere auf der Insel Barbados. An beiden Orten wird Nachtstrom über eine Brennstoffzelle geliefert, die Wasserstoff aus dem am Vortag erzeugten Strom nutzt.

4. Verkauf von Wärmepumpen. Die Dekarbonisierung in Ländern in hohen Breitengraden, zum Beispiel in Nordeuropa, hängt davon ab, Alternativen zu Erdgas für die private und gewerbliche Beheizung zu finden. Wärmepumpen sind ein entscheidender Teil der Antwort, weil sie fast drei Mal so viel Wärme abgeben wie sie an CO2-armem Strom benötigen. In Europa ist der Absatz in den letzten Jahren sehr stark gestiegen. 2021 erhöhte sich das Volumen um ein Viertel und macht inzwischen über 25% aller Heizungsanlagen aus. An einzelnen Märkten ist das Wachstum sogar noch rasanter. In Frankreich und Polen zum Beispiel liegt der Anstieg bei 52% bzw. 66%.

Aufgeheizt

5. Stahl aus Wasserstoff. Einer der weltgrössten Stahlproduzenten, ArcelorMittal, hat ein grosses Projekt in Angriff genommen und damit begonnen, Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen. In den letzten Monaten hat das Unternehmen in Frankreich, Spanien und Kanada umfangreiche Subventionen erhalten, um den Übergang von Hochöfen zur wasserstoffbasierten Direktreduktion zu beschleunigen. (Allein auf Frankreich entfallen rund 14% der globalen Stahlproduktion von ArcelorMittal.) Dass grosse europäische Stahlproduzenten – und asiatische Hersteller wie Posco – Schritte in Richtung einer Direktreduktion unternehmen, wird durch die belegbare starke Nachfrage nach umweltfreundlichem Stahl seitens grosser Kunden wie Automobilherstellern befeuert. BMW zum Beispiel hat vor kurzem mitgeteilt, spätestens 2030 sollen 40% seines Stahls aus CO2-armen Quellen stammen.

6. Chemisches Recycling. Der kleine Anteil von Kunststoff, der überhaupt recycelt wird, wird fast immer mechanisch behandelt, z.B. in kleine Stücke zerteilt. Das daraus entstehende Produkt kann in der Regel nur in Anwendungen mit geringerer Wertigkeit eingesetzt werden. Durch chemisches Recycling hingegen werden die Polymere in dem Kunststoff abgebaut und die ursprünglichen Monomere wiederhergestellt. Daraus entsteht ohne Qualitätsverlust neuer Kunststoff, der für die Herstellung der Ursprungsprodukte verwendet werden kann. In Frankreich wurden zwei grosse Projekte angekündigt. Das eine wird von Eastman, dem US-Marktführer für chemisches Recycling, betreut und soll zu einer der weltgrössten Kunststoffaufbereitungsanlagen werden. Das zweite wird von dem französischen Pionier Carbios entwickelt und soll PET mithilfe von Enzymen in seine Grundbestandteile zersetzen. Das sind erste, aber wichtige Schritte zum Aufbau einer vollständig zirkulären Kunststoffwirtschaft. Die langfristigen Auswirkungen auf die Ölraffinerie, die Kunststoffe als die grösste Quelle für zukünftiges Wachstum sieht, sind noch nicht vollständig quantifiziert.

7. Verantwortung für Emissionen in der Lieferkette übernehmen. Grosse Unternehmen üben zunehmend Druck auf ihre Lieferanten aus, damit sie ihre Emissionen reduzieren. Diese Unternehmen haben erkannt, dass es nicht ausreicht, wenn ihr eigener Geschäftsbetrieb CO2-frei ist („Scope 1“ und „Scope 2“), während durch ihre Lieferkette oder die Nutzung durch die Kunden eine grosse Menge an Treibhausgasemissionen verursacht wird („Scope 3“). Die weltweit bekannte Guinness-Brauerei hat ein Programm ins Leben gerufen, in dessen Rahmen mehr CO2 in den Böden der irischen Gerstelieferanten gespeichert werden soll. Nach meiner groben Schätzung könnte dieses Programm der „regenerativen Landwirtschaft“ ein Sechstel seiner gesamten Lieferkettenemissionen kompensieren. Das Pharmaunternehmen AstraZeneca sagt, dass seine Scope-3-Emissionen das 20-Fache der Emissionen aus seinem eigenen Geschäftsbetrieb betragen. Ein überraschend grosser Teil des breiteren CO2-Fussabdrucks von AstraZeneca entsteht durch Treibgase, die in Inhalatoren für Asthma und Lungenerkrankungen zum Einsatz kommen. AstraZeneca hat eine annähernd CO2-freie Alternative in Aussicht gestellt.

8. Abkehr von fossilen Brennstoffen. Ich möchte drei sehr unterschiedliche Beispiele vorstellen, in denen die Zusammenarbeit mit CO2-intensiven Unternehmen beendet wurde. Die dänische Bank Nordea gab bekannt, dass sie keine Kredite mehr an Offshore-Ölförderer vergeben werde. COWI, ein internationales Ingenieur- und Beratungsbüro, erklärte, es werde keine Projekte mehr für Unternehmen realisieren, die mit fossilen Brennstoffen arbeiten. Und Eastern Pacific Shipping, eine grosse Reederei, die Massengut transportiert, sagte zu, keine Kohle mehr zu verschiffen. Der Software-Milliardär Mike Cannon-Brookes ging den entgegengesetzten Weg und gab zusammen mit einem kanadischen Investmentfonds ein Gebot für den Kauf von AGL ab, einem grossen australischen Versorgungsunternehmen. Sein Ziel ist es, den Ausstieg von AGL aus der Nutzung von Kohle zur Stromerzeugung zu beschleunigen und gleichzeitig die Wachstumsrate bei erneuerbarer Kapazität zu steigern.

9. Metallknappheit. Der angesehene Energiekommentator David Roberts fragt sich, ob die Inflation bei „grünen Grundstoffen“ wohl andauern wird. Er kommt zu dem Schluss, dass Bedenken hinsichtlich der langfristigen Verfügbarkeit von Metallen und anderen Rohstoffen für die Energiewende unnötig sind. Die Preise dürften sich früher oder später stabilisieren. Dennoch gibt David Roberts zu bedenken, dass die meisten Mineralien in nur einigen wenigen Ländern abgebaut und verarbeitet werden, was zukünftige Probleme in der Lieferkette sehr wahrscheinlich macht.

10. Das Wachstum von Wasserstoff. Der führende Hersteller von Elektrolyseuren, NEL, hat seine Ergebnisse für das vierte Quartal 2021 veröffentlicht. Interessant ist – neben vielen anderen Kennzahlen –, dass sich die Vertriebspipeline in diesen drei Monaten auf 22 Gigawatt verdoppelt hatte. Das installierte Gesamtvolumen an Elektrolyseuren für die Herstellung von sauberem Wasserstoff beträgt weltweit wahrscheinlich weniger als 1 Gigawatt. Das wachsende Interesse an Wasserstoff wird oft noch als „Hype“ abgetan. Dem ist aber nicht so, denn NEL und andere Hersteller zeigen, dass Wasserstoff eine entscheidende Rolle bei der weltweiten Energieversorgung spielen wird.


Über

Chris Goodall

Chris Goodall ist Consultant und Berater für Investoren und Unternehmen auf dem Gebiet der kohlenstoffarmen Energien und der Kreislaufwirtschaft. Er ist wissenschaftlicher Gutachter für die Fachzeitschrift „Biomass and Bioenergy“ und seine Artikel wurden im Guardian, The Ecologist und Abundance Generation veröffentlicht. Er ist Autor von fünf Büchern zu den Themen Energie und Umwelt, unter anderem Ten Technologies to Fix Energy and Climate, The Green Guide for Business, How to Live a Low-carbon Life und The Switch. Er veröffentlicht auch regelmässig Beiträge in seinem Blog Carbon Commentary.

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