So schmeckt die Zukunft: Nahrungsmittel aus Luft

Neuartige Technologien, mit denen sich nahrhafte Laborlebensmittel herstellen lassen, sind der Schlüssel für die nachhaltige Ernährung von 10 Milliarden Menschen.

Ein proteinreiches Frühstück mit Rührei und Würstchen. Oder ein Eis und einen Milchshake am Nachmittag. Alles aus Luft hergestellt.

Das finnische Start-up Solar Foods lässt Science-Fiction Realität werden – es produziert ein nährstoffreiches Protein für Fleisch, Milch, Eier usw. ausschliesslich im Labor, mit nichts anderem als Kohlendioxid als primärem Rohstoff.

Solar Foods ist nur eines von vielen Nahrungstechnologieunternehmen, die alternative Nahrungsmittel aus dem Labor anbieten und damit die Nahrungsmittelproduktion von der energieintensiven Landwirtschaft entkoppeln.

Man hofft, dass alternative und nachhaltige Nahrungsmittel günstiger und nahrhafter werden als ihre traditionell angebauten Pendants. Das würde den Weg für eine radikale Umstellung unseres Ernährungssystems frei machen.

„Fortschritte in der synthetischen Biologie und der sogenannten Präzisionsfermentation, die Möglichkeit, Mikroorganismen so zu programmieren, dass sie komplexe organische Moleküle bilden, das könnte uns die Möglichkeit geben, noch viel mehr zu produzieren als nur pflanzliches Fleisch und grundlegende Proteinquellen wie Soja zu ersetzen“, so Dr. Passi Vainikka, CEO und Mitbegründer von Solar Foods im New Foundations Podcast, der von der Economist Intelligence Unit produziert und von Pictet unterstützt wird.

„(Wir) machen viel mehr Menschen mit viel weniger satt.“

Ein radikales Umdenken im Bereich des globalen Ernährungssystems, wie Solar Foods es vormacht, ist unabdingbar, wenn der Planet die 10 Milliarden Menschen ernähren soll, die es 2050 auf der Erde geben wird. Gleichzeitig müssen die natürlichen Ressourcen und die biologische Vielfalt geschützt werden. Schon jetzt entfallen auf Nahrungsmittel und die Landwirtschaft mehr als ein Viertel der globalen Treibhausgasemissionen und über 70% der Süsswasserentnahmen.

Ferming: Mehr Menschen mit weniger satt bekommen

Im Gegensatz zu etablierteren Produzenten von alternativem Fleisch wie Impossible Foods oder Beyond Meat verwendet Solar Foods keine Pflanzen für die Herstellung seines Proteins. Stattdessen holt sich das Unternehmen eine Mikrobe aus der Natur.

Mikroben ernähren sich nährstoffreich aus CO2-Blasen, Wasserstoff und Sauerstoff, und sie wachsen und vermehren sich in einer Wasserlösung. Alle Zutaten werden direkt aus der Luft bezogen.

Nach Abschluss dieses Fermentationsprozesses vertrocknen sie.

Das Ergebnis ist ein nahrhaftes Pulver namens Solein, das neun essenzielle Aminosäuren enthält und dessen Zusammensetzung hinsichtlich der Makronährstoffe derjenigen von getrocknetem Soja oder Algen ähnelt.

Das ist eine neuartige Technik, die als Präzisionsfermentation bezeichnet wird und bei der die traditionelle Fermentierung – wie wir sie von der Brot- und Bierherstellung kennen – mit synthetischer Biologie, Engineering und Informationstechnologie kombiniert wird.

„Im Prinzip kann man jedes Protein herstellen, indem man einer Mikrobe beibringt, wie sie das machen soll, und so ist es auch zu dieser Konvergenz von Technologien gekommen ... Man könnte sagen, eine Kuh ist ein Technologie-Element, das für die Herstellung von Fleisch und Milch genutzt wird, und diesen Schritt umgeht man, um Protein deutlich effizienter und schneller herzustellen“, sagt Catherine Tubb, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei dem unabhängigen Thinktank RethinkX, in dem Podcast.

„Wenn es ein neuartiges Protein gibt, das für Nahrungsmittel in Frage kommt, dann ist das ein Zeichen, dass man Proteine viel besser herstellen kann als aus Tieren.“

Solein kann ohne tierische Bestandteile und Mutterboden in einem Labor zu Fleisch, Milch, Eiern und anderen Nahrungsmitteln verarbeitet werden. Und sein ökologischer Fussabdruck ist viel besser als der von Pflanzen oder Rindfleisch.

Ausserdem hat es den Vorteil, dass das Nahrungsmittelangebot vielfältiger wird, weil 1 Billionen noch unerforschte Spezies genutzt werden können.

Das ist entscheidend, wenn man bedenkt, wie unnachhaltig konzentriert unsere Essgewohnheiten sind: Der Mensch verzehrt nur 200 der 10.000 entdeckten essbaren Pflanzen und 75% unserer Nahrungsmittel stammen aus gerade mal zwölf Pflanzen und fünf Tieren.

Neben der Herstellung von tier- und pflanzenfreiem Protein entwickelt Solar Foods auch Möglichkeiten, echtes Fleisch oder Fisch aus Zellen herzustellen, die sein Primärprotein als Medium nutzen.

„Am Ende hätte der Verbraucher wie bisher Fleisch oder Fisch auf dem Teller, nur die Art und Weise, wie es dorthin gelangt ist, hat sich komplett verändert“, so Dr. Vainikka.

Solein-basierte Produkte dürften bis Ende 2022 in die Lebensmittelgeschäfte kommen; das Unternehmen rechnet damit, dass es von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit die Zulassung als neuartiges Nahrungsmittel erhält.

Solar Foods hat bereits 35 Mio. Euro an Finanzierungsmitteln beschafft und sich knapp ein Drittel aus dem finnischen Klimafonds gesichert. Das Unternehmen stellt die globale Fleisch- und Milchprodukteindustrie auf den Kopf, die zusammen einen Wert von geschätzten 2 Bio. US-Dollar hat.

Solar Foods plant mit Produktionskosten von rund 5–6 Euro pro Kilogramm. Das ist vergleichsweise günstig, wenn man bedenkt, dass der durchschnittliche Einzelhandelspreis für Rindfleisch ca. 3–4 Euro pro kg Protein, für Lachs 7–8 Euro und für Nüsse 11 Euro beträgt.1

Mozzarella: Die neue Spielwiese?

Alternative Nahrungsbestandteile und deren Produzenten dürften in den kommenden Jahrzehnten an strategischer Bedeutung gewinnen, da Regierungen angesichts der wachsenden Bevölkerung, der globalen Erwärmung und der Urbanisierung ihre Bemühungen intensivieren, die Nahrungsmittelversorgung zu sichern, die inländischen Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren und autark zu werden.

Regierungen zum Beispiel können protektionistische Massnahmen ergreifen, um Exporte zu beschränken oder wichtige Bestandteile wie Käse mit Importzöllen zu belegen – deren jährlicher Verzehr in den USA in den vergangenen zehn Jahren um 20% auf rund 18 kg pro Kopf stiegen ist.2

„Wir haben es hier mit einer zutatengetriebenen B2B-Disruption zu tun“, so Tubb.

Die Regierungen sind bereits unter Druck und müssen ihre Politik zur Ernährungssicherheit überdenken, nachdem die COVID-19-Krise einen schwerwiegenden Personalmangel in der Lebensmittelverarbeitung, Störungen der Lieferketten und höhere Preise ausgelöst hat.

„Im Nahen Osten und in Regionen wie Singapur, wo die Ernährungssicherheit viel mehr ein Thema ist, ist der Nutzen dieser Technologie enorm“, sagt Tubb weiter.

„Es gibt Länder, die viel stärker als beispielsweise Europa oder die USA von dieser Technologie profitieren würden.“

Hören Sie mehr über alternative Nahrungsmittel im „New Foundations“ Podcast: https://newfoundations.economist.com/

[1] Statista; Daten für 52 Wochen bis zum 27.04.2019 in den USA
[2] International Dairy Foods Organization