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Emerging Markets Monitor – Auswirkungen des Ukraine-Konflikts

Mai 2022
Marketingdokument

Wie die Russland-Ukraine-Krise den Ausblick für Schwellenländerinvestoren verändert

Wir schauen uns an, welche Folgen der russische Einmarsch in die Ukraine mittel- und langfristig für die Schwellenländer hat.

01

Marktturbulenzen

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Aktien- und Anleihemärkte weltweit in Aufruhr versetzt. In den Schwellenländern werden die Auswirkungen jedoch am längsten zu spüren sein. Für Investoren bedeutet das neue Risiken, aber auch neue Chancen.

Von allen Märkten sind die Rohstoffmärkte besonders auffällig von dem grössten militärischen Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg betroffen. Der Krieg hat die Versorgung mit Öl, Gas und anderen Rohstoffen extrem erschwert und den ohnehin schon hohen Inflationsdruck überall auf der Welt weiter verstärkt. Die längerfristigen Effekte dürften jedoch deutlich subtiler sein. Der Krieg erinnert die Investoren an die idiosynkratischen geopolitischen Risiken, die den Schwellenländern innewohnen. Für viele Beobachter kam der russische Einmarsch in die Ukraine völlig überraschend. Dass China Präsident Putin unterstützt, stellt die Beziehungen des Landes zum Westen auf eine harte Probe. Auf der anderen Seite sorgt Russland dafür, dass das Risiko eines Konflikts mit Taiwan deutlich abnimmt. 

Langfristig lässt die konzertierte und einheitliche Reaktion der Industrieländer auf Russlands Aggression hoffen, dass das Verhalten der Regierungen in Zukunft effektiver beobachtet wird.

02

Rohstoffzyklus aus neuer Perspektive

Der Konflikt schlug sich sofort sichtbar in den Energiepreisen nieder. Die beispiellosen Sanktionen des Westens gegen Moskau und die Angst vor einem Angebotsengpass liessen die Gas- und Ölpreise in die Höhe schnellen. Russland erwirtschaftet nur 2,5% des globalen BIP, produziert aber 13% des Öls, 17% des Gases und 46% des Palladiums (siehe Abb. 3). Wir gehen davon aus, dass das globale BIP 2022 um 0,4 Prozentpunkte fallen wird, wenn die Ölpreise weiterhin 50% über dem Niveau vor der Invasion liegen, mit direkten und indirekten Auswirkungen (siehe Abb. 1).  

Abb. 1 – Leistungsabfall
BIP-Wachstum, Ist und Prognose, in %
Ukraine – Wachstum
Quelle: Prognosen von Pictet Asset Management, CEIC, Refinitiv. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 21.12.2019–20.04.2022.

Was Russland anbelangt, gehen wir davon aus, dass der Krieg und die Sanktionen die inländische Produktion um 6% schrumpfen lassen und die Inflation bei 12% liegen wird. Darüber hinaus besteht die Gefahr von Bank Runs und eines breiteren Kollaps des Finanzsystems des Landes. Gleichzeitig steht Russland vor einem Zahlungsausfall und einer Zahlungsbilanzkrise.

Für die Schwellenländer ist es generell jedoch mehr die Rolle Russlands als bedeutender Rohstoffexporteur, die ausschlaggebend für ihre Zukunftsaussichten ist (siehe Abb. 5). Das Land ist eine Hauptquelle für Nicht-Energie-Rohstoffe, darunter Industriemetalle und Holz. Sowohl Russland als auch die Ukraine sind grosse Produzenten landwirtschaftlicher Erzeugnisse wie Weizen, Mais und Sonnenblumenöl – Eurasien und Teile Nordafrikas sind stark von russischen und ukrainischen Weizenexporten abhängig. Infolgedessen gehörten viele Schwellenländer zu den grossen Verlierern des Preisschocks. Während einige rohstoffreiche Nationen von dem Preisanstieg stark profitierten, wurden diejenigen, die keine Rohstoffe haben, stark belastet. Einzelne Schwellenländer nutzen die westlichen Sanktionen als Chance und kaufen Öl und Gas von Russland mit Abschlägen an den globalen Märkten.

Abb. 2 – Hoch hinaus
Tatsächliche Inflation und Prognose, in %
Ukraine – Inflation
Quelle: Prognosen von Pictet Asset Management, CEIC, Refinitiv. Daten beziehen sich auf den Zeitraum 31.12.2019– 20.04.2022.

Die inflationären Folgen dieser Preissprünge für die Schwellenländer variieren erheblich von Land zu Land, je nach Zusammensetzung der lokalen Konsumkörbe (siehe Abb. 2). Ärmere Länder, in denen die Bevölkerung einen grösseren Teil ihres Haushaltseinkommens für Nahrungsmittel und Energie ausgibt, leiden bereits unter höheren Inflationsraten. Dies wird sich auf die innenpolitische Stabilität auswirken – denken wir nur an den Arabischen Frühling, der eine Reaktion auf den Anstieg der Nahrungsmittelpreise war.

Für Anleger in Schwellenländeraktien und -anleihen hat dies vielfältige Folgen. Produzenten von nachgefragten Rohstoffen gewinnen an Attraktivität, während diejenigen, die auf den Import von Rohstoffen angewiesen sind, ins Hintertreffen geraten. Im letzteren Fall geht eine steigende Inflation mit einem steigenden politischen Risiko einher.

Letztendlich müssen Investoren, die sich in den letzten Jahren zunehmend auf Wachstums- und Technologieaspekte der Schwellenländer konzentriert haben, sich wieder auf grundlegendere Elemente der globalen Wirtschaft besinnen – nämlich Rohstoffe.

Das breitere Schwellenländeruniversum

Der Krieg wirkt sich aber nicht nur auf Rohstoffe aus. Der Tourismus zum Beispiel könnte ebenfalls einen Dämpfer erleiden, da die Kraftstoffpreise die Reisekosten in die Höhe treiben. Gleichzeitig ist Covid-19 weiterhin ein Problem, auch wenn wir es zunehmend unter Kontrolle haben. 
Abb. 3 – Dominanz lässt nach
Öl- und Gasförderung, % der globalen Gesamtproduktion 
Öl und Gas
Quelle: Our World in Data. Daten vom 20.04.2022.
Die Auswirkungen sind von Region zu Region unterschiedlich. Die Türkei, die mittel- und osteuropäischen sowie die baltischen Staaten haben einen starken Bezug zu Russland und der Ukraine. Asien hingegen ist relativ isoliert – weder Russland noch die Ukraine sind ein besonders bedeutender Handelspartner –, und bleibt weitgehend unberührt, abgesehen von Störungen der Lebensmittel- und Energielieferkette. Auch hier stehen einige Länder besser da als andere. Indonesien und Malaysia werden profitieren. Dagegen sind Indien und die Philippinen aufgrund ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen anfälliger. Gleichzeitig verfügen Länder mit wenigen natürlichen Rohstoffen wie Südkorea und Singapur über starke Reserven und Aussenbilanzen.   
03

Dollar-Fragen

Finanzielle Sanktionen gegen Russland sind aufgrund der globalen Dominanz des US-Dollars effektiv. Doch die beispiellosen Strafen – der Ausschluss russischer Finanzinstitute vom Swift-Zahlungssystem, das Einfrieren russischer Zentralbankreserven sowie die Kappung des Auslandsgeschäfts der Geschäftsbanken des Landes (die insgesamt 70% des Bankensektors ausmachen) – sind für andere Schwellenländer ein grosses Problem. Russland hatte Reserven in Höhe von 500 Mrd. US-Dollar aufgebaut, um genau diese Art von finanzieller Anfälligkeit zu vermeiden, konnte sich jedoch keine Immunität kaufen.

Abb. 4 – Rohstoffkönig
Russlands Anteil an den globalen Exporten nach Rohstoffen, in %
Rohstoffexporte
Quelle: Eurasia Group. Daten vom 20.04.2022.

Diese „finanzielle Kriegsführung“ könnte beispielsweise China dazu bewegen, die Entwicklung seiner eigenen Zahlungssysteme zu beschleunigen und die produzierenden Länder dazu veranlassen, ihre Rohstoffe in anderen Währungen als dem US-Dollar zu bepreisen. Inwieweit das gelingt, ist eine andere Frage. Wenn die russische Invasion in die Ukraine den Schwellenländerinvestoren eines gezeigt hat, dann das: Es ist eine gute Idee, auf US-Dollar lautende Anlagen zu halten (vorausgesetzt, die Investoren stehen nicht selbst auf einer Sanktionsliste).

04

Chinas Einfluss

Die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf China dürften relativ gering sein – Russland macht nur 2 % der chinesischen Exporte aus, wohingegen Russland selbst von chinesischen Gütern abhängig ist (siehe Abb. 5). Darüber hinaus hat der Krieg China in die Lage versetzt, russisches Öl und Gas mit Preisabschlägen zu kaufen.

Das sind gute Voraussetzungen für die längerfristige Inflation des Landes, nicht zuletzt, weil diese bei nur 1,5% liegt. Gleichzeitig hat sich die Regierung für dieses Jahr ein Wachstumsziel von 5,5% gesetzt, was eine geldpolitische Lockerung und fiskalpolitische Impulse impliziert.

Abb. 5 – Russland braucht Europa und China
Warenexporte nach Russland nach Ländern/Regionen 2021, in % der Gesamtmenge
Exporte nach Russland
Quelle: IMF DOTS. Daten vom 01.02.2022.

Die russische Invasion könnte das Machtgleichgewicht zwischen den USA und China verschieben. Die einzige Möglichkeit für Russland, mit der Welt zu interagieren, ist über den chinesischen Renminbi. Das könnte ein Anreiz für andere Regierungen sein, sich China als Alternative zur US-Finanzhegemonie zuzuwenden. Renminbi-Anleihen erscheinen attraktiv, zumal die chinesische Wirtschaft nicht mit Industrieländern zu korrelieren scheint – wenn auch das Kapitalsystem nicht vollständig liberalisiert ist.

Mit China sind jedoch erhebliche politische Risiken verbunden. Dazu gehören die rigorosen Massnahmen der Regierung gegen eine Reihe von Branchen in den letzten Jahren und der Handelskrieg mit den USA bei Low-Level-Technologie. 

05

Risikoabwägung

Die Risikoprämien für Schwellenländer sind in den letzten Wochen angesichts der Unsicherheit über Wirtschaftswachstum und Inflation gestiegen. In mehrerer Hinsicht erinnert die Marktverschiebung daran, dass die Schwellenländer politischen Risiken ausgesetzt sind, die lange ruhten und die traditionell in die Preise von Kapitalanlagen einfliessen.

Ironischerweise ist das mit Schwellenländerindizes verbundene Risiko gesunken, nachdem russische Indexbestandteile herausgenommen wurden. Das liegt daran, dass russische Anleihen und Aktien von den Märkten vor dem Krieg überproportional diskontiert wurden, teilweise aufgrund bekannter Governance-Risiken und Russlands Hang zu Aggressivität.

Somit rückt ein wichtiger Aspekt von ESG-Investments (Umwelt, soziale Verantwortung, Governance) in Schwellenländern in den Vordergrund. Es sind natürlich alle drei Faktoren relevant, aber die „Governance“ gewinnt für diejenigen, die in diesen Länder investieren möchten, zunehmend an Bedeutung. Eine zielführende Interaktion mit Regierungen ist häufig frustrierend und bleibt ergebnislos, ausser vielleicht für die ganz grossen Investoren. Das führt dazu, dass sie sich aus Märkten zurückziehen, in denen die Governance besonders schlecht ist.

Die Investoren werden intensiver über die Staatsführung in den Ländern, in denen sie investieren wollen, nachdenken müssen.

Abgesehen davon, dass wir unsere Positionen in russischen Anlagen reduziert haben, wenn die Liquidität dies zuliess, haben wir auf die Krise reagiert, indem wir uns auf den Anstieg der Rohstoffpreise und die Inflation konzentriert und relevante Positionen in allen Anlageformen aufgebaut haben. Bei den Staatsanleihen haben wir unser Augenmerk auf eine Handvoll Länder – insbesondere in Lateinamerika und Afrika – gerichtet, die in Teilen vom Rohstoffboom profitieren dürften. Gleichzeitig haben wir Positionen in anfälligen Ländern wie der Türkei, Taiwan, Thailand und Indien reduziert.

Bei Schwellenländer-Unternehmensanleihen haben wir mit einer Reduzierung der Sensitivität gegenüber steigenden Zinsen reagiert. Wir haben unsere Position in kurzlaufenden Bank- und Rohstoffwerten erhöht, was an dieser Stelle im Zyklus von Vorteil sein dürfte, aber unsere Allokation in Anleihen von Konsumunternehmen, die anfällig für Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und Energie sind, reduziert.

Was Schwellenländeraktien anbelangt, halten wir eine Reihe von Aktien, die unseren Kunden ein Engagement in Rohstoffen ermöglichen, darunter ein Hersteller von Düngemittel-Grundstoffen aus dem Nahen Osten und ein lateinamerikanischer Basismetallproduzent, und in Brasilien sind wir generell übergewichtet. Darüber hinaus halten wir Positionen in Unternehmen, die auf erneuerbare Energien aus Sonne und Wind spezialisiert sind.

Alles in allem stehen die Investoren infolge des russischen Einmarschs in die Ukraine kurz- und langfristigen Problemen gegenüber. In den nächsten ein bis zwei Jahren werden die Auswirkungen auf Inflation und Wachstum infolge des Anstiegs der Rohstoffpreise weltweit zu spüren sein. Die längerfristigen Aussichten sind noch düsterer. Alles wird davon abhängen, inwieweit die Industrieländer die Rolle einer globalen Polizei einnehmen – und wie die Schwellenländer reagieren. Die Hegemonie des US-Dollars könnte dauerhaft beschädigt sein. In jedem Fall werden die Investoren intensiver über die Staatsführung in den Ländern, in denen sie investieren wollen, nachdenken müssen.