Diese Risikoeinpreisung ist grösstenteils auf die hohe Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der globalen Zinssätze zurückzuführen. Schwellenländer-Staatsanleihen gelten als besonders anfällig für dieses Zinsumfeld, weil nicht klar ist, wie sich die Finanzierungskosten entwickeln und wie die globalen Liquiditätsbedingungen davon beeinflusst werden, z.B. wo Kapital hinfliesst oder dass ein starker US-Dollar es erschwert, auf USD lautende Schulden zu bedienen.
Sicherlich hat die starke Neubewertung von US-Staatsanleihen zu einer erheblichen Volatilität bei Schwellenländeranleihen geführt – die Renditen 10-jähriger US-Staatsanleihen sind in den letzten zwölf Monaten um 148 Basispunkte auf 3,03% gestiegen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Rohstoffpreise uneinheitlich entwickeln, insbesondere die Nahrungsmittel- und Energiepreise, die in diesen Ländern einen grösseren Anteil an den Konsumkörben ausmachen. Einige Schwellenländer sind bedeutende Rohstoffproduzenten und haben daher vom Preisanstieg profitiert, während andere hart getroffen wurden.
Investorinnen und Investoren berücksichtigen bei ihrer Reaktion auf den globalen Inflationsschock und die geopolitischen Krisen jedoch nicht immer die länderspezifischen Gegebenheiten. Angesichts der starken Unterschiede innerhalb der Anlageklasse hat sich dadurch jedoch eine Lücke für diejenigen aufgetan, die in der Lage sind, detaillierte makroökonomische Analysen durchzuführen.
Als Folge davon erlebten Schwellenländeranleihen einen starken Ausverkauf – der auf US-Dollar lautende Schwellenländer-Staatsanleihenindex ist seit Jahresbeginn um rund 18% gesunken und der Index für Lokalwährungsanleihen um 14%. Das führte dazu, dass der Markt das Ausfallrisiko übertrieben hoch einpreiste – auf einem Niveau, das nicht mehr weit von den Höchstständen im Zuge der globalen Finanzkrise von 2008 entfernt ist. Eine interessante Sache für Anlegerinnen und Anleger: Steigende Ausfallerwartungen fallen in der Regel mit steigenden Renditen zusammen. In der Vergangenheit war es so, dass aktuelle Ausfallerwartungen von knapp 20% ein Jahr später tendenziell Renditen von rund 10–15% brachten.
Als High-Yield eingestufte Länder erlitten mit die grössten Verluste – die Spreads von Investment-Grade-Schwellenländern sind relativ moderat geblieben. Gleichzeitig ist die Zahl der Länder, die als High-Yield gelten, mit den Verlusten an den Märkten gestiegen. Ende April wurden fast 22% der Schwellenländer mit Distressed-Spreads von mehr als 1'000 Basispunkten über den US-Staatsanleihen gehandelt – ein Niveau, das auf das Risiko eines möglichen Ausfalls hindeutet. Das ist der höchste Prozentsatz seit der globalen Finanzkrise und im Vergleich zu den gerade mal 4% der Länder Mitte 2019.
Für Investorinnen und Investoren, die in Anleihen anlegen, bietet dieser grosse und wachsende Abstand zwischen Investment-Grade- und High-Yield-Schwellenländeranleihen interessante Möglichkeiten. Schauen wir uns nur einmal Schwellenländeranleihen im Vergleich zu Hochzins-Unternehmensanleihen an. Auf US-Dollar lautende Schwellenländeranleihen werden mit einem höheren Spread gehandelt als entsprechend bewertete US-Unternehmensanleihen.
Diese Diskrepanz wird insbesondere am unteren Ende des High-Yield-Ratingspektrums deutlich – mit rund 250 Basispunkten bei Unternehmensanleihen mit B-Rating. Und das, obwohl die Ausfallraten von Schwellenländer-Staatsanleihen deutlich niedriger waren als die von Unternehmensanleihen. In der Ratingkategorie B wiesen Schwellenländer-Staatsanleihen zwischen 1983 und 2021 eine durchschnittliche Ausfallrate von 12,7% über 5 Jahre auf, bei globalen Unternehmensanleihen lag sie bei 20,2%. Mittlerweile liegen die Erlösquoten von Schwellenländer-Staatsanleihen, also der Prozentsatz des Nennwerts der Anleihe, der bei Ausfall des Schuldners eingetrieben werden kann, seit 1998 durchschnittlich bei relativ gesunden 52%. Demgegenüber sind die Erlösquoten bei Ausfällen von Unternehmensanleihen während der Pandemie deutlich gesunken, nämlich auf 45 US-Cent, so Moody’s.
Die zentrale Frage, die sich Investoren stellen, ist, welche Bedingungen jetzt anders sind als in der Vergangenheit, dass diese Einpreisung am Markt derart überhöht ist. Eine Sorge ist, dass die Schuldenstände in den Schwellenländern viel höher sind als zu Beginn der Pandemie und zum gleichen Zeitpunkt in früheren globalen geldpolitischen Zyklen. Allein davon ausgehend wären steigende Zinsen ein bedeutender Risikofaktor für Schwellenländeranleihen. Das hiesse aber auch zu ignorieren, dass die Schwellenländer in den letzten Jahren Anleihen zu historisch niedrigen Renditen emittieren konnten, vor allem 2020, als die Pandemie die Zinssätze weltweit auf Talfahrt und ein noch dagewesenes Niveau schickte. Infolgedessen werden diese Schulden zu sehr niedrigen Zinssätzen bedient und die Schuldendienstkosten in Prozent des BIP dürften in den kommenden Jahren sinken. Das wiederum macht das Risiko eines breiten Ausfalls bei Schwellenländer-Staatsanleihen sehr unwahrscheinlich. Stattdessen konzentriert sich das Ausfallrisiko auf kleinere, schwächere Anleihen mit einem hohen kurzfristigen Finanzierungsbedarf, die von Nahrungsmittel- und Energieimporten abhängig sind.
Obwohl die Schwellenländer in einer Welt, in der die US-Zinssätze steigen, vor Herausforderungen stehen, hat uns die Geschichte gelehrt, dass sich Schwellenländeranleihen am schlechtesten in der Zeit entwickeln, in der ein US-Straffungszyklus erwartet wird. Sobald der Zyklus beginnt – und das ist bereits geschehen – werden Schwellenländeranleihen von ganz alleine wieder anziehen. An dieser Stelle wertet der US-Dollar in aller Regel nicht weiter auf, was die Schwellenländer etwas entlastet. Und unsere Strategen argumentieren, dass die US-Währung deutlich überbewertet ist und der Dollar in den kommenden fünf Jahren mehr als 10% abwerten könnte.
Diese Dynamik in Kombination mit erhöhten Risikoprämien, die sich in einer im historischen Vergleich hohen impliziten Ausfallwahrscheinlichkeit niederschlagen, deuten darauf hin, dass die Schwellenländeranleihen die grössten Verluste bereits erlitten haben und sich die Spreads nicht weiter erhöhen dürften. Und wenn sich geldpolitische Normalisierung festigt, dürfte die Zinsvolatilität nachlassen, sodass die Spreads wieder zurückgehen.
Gleichzeitig erholen sich die Volkswirtschaften der Schwellenländer wieder. Mit Ausnahme von China und der europäischen Schwellenländer wird erwartet, dass die Wachstumsraten in den kommenden fünf Jahren weitgehend denen der fünf Jahre vor der Pandemie entsprechen werden. In den nächsten fünf Jahren dürften die Länder Lateinamerikas, Afrikas, der Golfküste und des Nahen Ostens stärker wachsen als vor der Pandemie.
Innerhalb der einzelnen Regionen werden Mosambik, die Elfenbeinküste, Indien, Indonesien, Vietnam, Usbekistan, Georgien, Panama, die Dominikanische Republik und Kolumbien mit Wachstumsraten zwischen 3,9% und 7,2% pro Jahr die stärkste Entwicklung aufweisen. Das ist deutlich mehr als von dem vermutlich stärksten Performer, den USA, erwartet wird, und deutet auf eine Umkehr des unmittelbaren Post-Pandemie-Trends hin. Und das ist entscheidend. In einer Zeit, in der die Industrieländer vermutlich kaum wachsen werden, dürfte aufgrund der Stärke der Schwellenländer Kapital in diese Länder fliessen und den Lokalwährungsanleihen einen Schub geben.
Das aktuelle Marktumfeld verheisst Gutes für Schwellenländeranleihen
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