Die schillernde britische Geschäftswelt verliert an Glanz: Die gleichnamige Kette des bekannten Kochs Jamie Oliver ist der jüngste Fall einer ganzen Pleitenserie bei mittelständischen Gastronomiebetrieben und Einzelhändlern – aber daraus ergeben sich auch Chancen.
Diese Entwicklung ist aber nicht nur in Grossbritannien zu beobachten. DIA in Spanien, Steinhoff (notiert in Deutschland und Südafrika) und der französische Konzern Rallye sind vor kurzem allesamt unter finanziellen Druck geraten und clevere Anleger konnten daraus attraktive Renditen erwirtschaften.
Die Fähigkeit zu erkennen, wann es sich lohnt, Anleihen eines Unternehmens zu kaufen oder zu verkaufen, steht im Mittelpunkt dieser Form des Investierens in Special Situations. Wenn zum Beispiel der Markt noch nicht vollständig eingepreist hat, wie stark ein Unternehmen in finanzielle Schieflage geraten ist, lassen sich mit einem Leerverkauf seiner Anleihen Renditen erzielen. Dies setzt eine genaue Analyse unter Druck geratener Unternehmensanleihen voraus, d. h. wann sie unter ihrem Nennwert gehandelt werden und ihre Rendite auf 10 Prozentpunkte über der als Benchmark dienenden Staatsanleihen mit denselben Laufzeiten steigt.
Wenn das emittierende Unternehmen dann zahlungsunfähig wird oder in Konkurs geht – mit anderen Worten, die Anleihen werden notleidend –, können erfahrene Anleger Renditen erwirtschaften, indem sie die Anleihen zurückkaufen, wenn sie damit rechnen, dass das Unternehmen erfolgreich umstrukturiert wird oder wenn die verbleibenden Vermögenswerte unterbewertet sind.
In der Vergangenheit hat dieser Investmentstil ordentliche Renditen gebracht. In den letzten 20 Jahren liessen sich mit Investments in notleidende Anleihen jährliche Renditen von 7,2% im Vergleich zu 6,8% bei globalen Hochzinsanleihen erzielen1.
Ein Grund dafür ist die asymmetrische Wesensart von Anleihen. Normalerweise bietet der Handel mit Unternehmensanleihen nicht viel Aufwärtspotenzial – eine plötzliche Verbesserung der Ratings eines Anleihenemittenten oder rückläufige Renditen von Staatsanleihen können einen gewissen Anstieg bewirken, aber der mit Abstand grösste Teil der Rendite wird in Form von regelmässigen Zinszahlungen erwirtschaftet. Im Gegensatz dazu kann der Schaden für ein Anleihenportfolio schwer und nachhaltig sein, wenn ein Anleihenemittent einen Ausfall erleidet. Das ist auch der Grund, warum das Shorten voll eingepreister Anleihen von Unternehmen, die in Schieflage geraten sind, so lohnend sein kann.
Genauso können auch die potenziellen Gewinne aus dem Kauf und Besitz notleidender Anleihen erheblich sein – nicht zuletzt, weil Unternehmen, sobald sie einen Zahlungsausfall erleiden, oftmals den wahren Wert ihrer Schuldpapiere unterschätzen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn kein reger Handel mit ihren Papieren stattfindet.
Notleidende Anlagen können auch Stabilität in ein diversifiziertes Portfolio bringen. Im Gegensatz zu Aktien und Unternehmensanleihen mit höherem Rating, die mit Konjunkturabschwüngen in der Regel nur schlecht zurechtkommen, ist das Shorten von Problem-Unternehmensanleihen in solchen Zeiten besonders einträglich.
Diese Anlageklasse liefert typischerweise positive Renditen, wenn traditionelle Anlageklassen – und insbesondere Aktien – versagen. Unternehmen nehmen in der Regel dann Fremdkapital auf, wenn es ihnen gut geht, und bekommen Probleme, wenn sich der Konjunkturzyklus umkehrt.
Da sich aber immer Unternehmen finden lassen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind, auch wenn die Ausfallraten sehr niedrig sind, können mit Investments in Special Situations hohe Nettorenditen über den gesamten Zyklus hinweg erzielt werden. Zu den flexibelsten Total-Return-Strategien gehören sowohl Leerverkäufe von Anleihen als auch der Aufbau von Long-Positionen – das hat zusätzlich den Vorteil, dass sich die Renditen aus diesen Investments in der Regel im Gleichschritt mit den grossen Anlageklassen entwickeln.
Deshalb ist die Strategie des Investierens in Special Situations attraktiv, auch wenn die Ausfallraten der Unternehmen gerade niedrig sind.
Die Attraktivität ist umso grösser, wenn die Ausfälle zunehmen – und das werden sie unweigerlich. Die Zyklen richtig zu erwischen, ist alles andere als einfach; die meisten Strategien versuchen das erst gar nicht. Hinzu kommt, dass die Politik noch immer keinen Weg gefunden hat, was man gegen die Zyklizität von Unternehmen tun kann. US-Unternehmen zum Beispiel sind gemessen an ihren Gewinnen vor Aufwendungen genauso stark verschuldet wie in den Rezessionen von 2001 und Anfang der 1990er Jahre und heute in einer schlechteren Verfassung als kurz vor der globalen Finanzkrise. Selbst jetzt, wo die Ausfallraten niedrig sind, gibt es vielfältige Möglichkeiten für Anleger in notleidenden und unter Druck geratenen Anlagen, weil die Märkte für Unternehmensanleihen grösser geworden sind. Und Anleger, die so flexibel sind, dass sie die gesamte Kapitalstruktur ausnutzen, also in Aktien wie auch in Anleihen investieren können, profitieren noch mehr.
Gleichzeitig ist ein Rekordanteil dieser Anleihen mit BBB bewertet, dem niedrigsten Investment-Grade-Rating überhaupt, sodass dieser Markt sehr fragil ist. Im Übrigen ist der Anteil der unter Druck geratenen Anleihen im Zuge der zunehmenden handelspolitischen Spannungen zwischen den USA und China gestiegen. Das hatte zur Konsequenz, dass die Anleger kein Erbarmen mit Unternehmen hatten, die in den vergangenen Wochen enttäuschende Gewinnzahlen vorlegten. Im Mai zum Beispiel ist die Anzahl europäischer Hochzinsanleihen, die ansatzweise notleidendes Terrain betreten haben – d. h. deren Preise unter 90 gefallen sind – im Vormonat von 50 auf 85 gestiegen.
In diesem Umfeld sind 12% der europäischen Unternehmen Zombies, d. h. ihre Gewinne reichen nicht aus, um den Zinsaufwand zu decken. Dieser Anteil ist nicht weit von dem Höchststand von 14% aus der Zeit vor der quantitativen Lockerung entfernt. Daraus ergeben sich enorme Chancen für Long/Short Distressed-Strategien, wenn sich die Zinssätze normalisieren und diese Unternehmen ihre Schulden nicht mehr bedienen können.
So deutet die Umkehr der US-Renditekurve auf eine Rezession im kommenden Jahr hin. Wenn wir dann noch die populistischen Strömungen in der Politik und den Handelskrieg zwischen den USA und China in die Waagschale werfen, werden die Aussichten immer trüber. Und in die Richtung, die die US-Wirtschaft nimmt, entwickeln sich auch andere Länder.
Die USA sind jedoch kein besonders erfolgversprechendes Jagdrevier für Special Situations-Anleger. Special Situations-Investments sind dort weit verbreitet und die Ausfallquoten sind niedrig, daher jagen viele Manager relativ wenigen Chancen hinterher.
Europa hingegen bietet gute Investmengelegenheiten für Special Situations-Anleger. Es gibt relativ wenig Wettbewerb um unter Druck geratene und notleidende Anlagen, sodass die Bewertungen günstig sind. Dies erfordert aber auch konsequente interne Kreditanalysen, bei denen Spezialisten mit weitreichender Erfahrung effizient die Covenants überprüfen und interpretieren können. Breit aufgestellte, etablierte Teams sind unabdingbar für die Maximierung der Performance für die Anleger.
Darüber hinaus ist das Umfeld aufgrund der Fragmentierung des Markts – mit verschiedenen Rechtsordnungen, Sprachen und Investmentkulturen – viel komplexer, was Anlegern mit lokalem Wissen besonders zugute kommt.
Im Gegensatz zu Aktienanlagen zum Beispiel, wo die Märkte in der Regel breit abgestützt, liquide und transparent sind, erfordern notleidende Anleihen oftmals auch gute Kontakte in unterschiedlichsten Branchen – nicht zu vergessen lokale Strukturierung und Rechtsberater –, um die besten Gelegenheiten aufzuspüren, zu verstehen und auszunutzen. Im Zuge langfristiger Veränderungen ergeben sich Chancen vor allem im Einzelhandel, im Schiffsbau und bei Öldienstleistungen.
Aber diese Merkmale haben ihren Preis: Erfolgreiches Investieren in Special Situations erfordert einen sehr aktiven Ansatz, der auf gründlicher Analysearbeit beruht. Auch können die Risiken hoch sein. Unter Druck geratene und notleidende Anleihen werden oftmals von relativ kleinen Unternehmen begeben – die naturgemäss nicht sehr stark am Markt vertreten sind –, oder potenzielle Marktteilnehmer wurden abgeschreckt oder beides. In diesem Fall ist es wichtig, die liquidesten dieser Wertpapiere aufzuspüren, d. h. diejenigen mit umfangreichen Kapitalstrukturen, um die Volatilität zu minimieren und sich die Tür für einen Verkauf der Anlage offen zu halten.
Eine individuelle Gestaltung der Investments erfordert zusätzliches Know-how. Wichtig ist ein angemessener Mix aus Short- und Long-Positionen, um sicherzustellen, dass die Strategie mehr bewirkt als nur die Ausnutzung von Markteffekten. Short-Positionen helfen auch bei der Entwicklung von Ideen für erfolgreiche künftige Long-Positionen.
Eine zentrale Überlegung für Anleger ist die Liquidität. Auch wenn sich der Kauf illiquider notleidender Anlagen wie Kredite von Unternehmen mit kleinen Kapitalstrukturen letztendlich lohnen kann, ist das Geld doch meist für längere Zeit geblockt. Das mag für Private-Equity-Anleger akzeptabel sein, aber für Hedged- oder Absolute-Return-Strategien kommen nur Investments in Frage, die sie leicht in ihr Portfolio aufnehmen und wieder abstossen können. Wird der Fokus auf liquidere Anlagen gelegt, ist auch die Haltedauer kürzer – bei einem Absolute-Return-Ansatz sind das eher 12 Monate als 5–7 Jahre wie bei einem typischen Private-Equity-Fonds.
Europa bietet gute Investmengelegenheiten für Special Situations.
Dieser Investmentstil hat zusätzlich den Vorteil, dass er nicht so viel Management erfordert wie Private-Equity-Fonds und der Fremdkapitalanteil geringer ist. Pools notleidender Kredite zum Beispiel sollten gemieden werden, da es wenig Transparenz über die Basiswerte gibt und sie sich daher nur schwer fundiert bewerten lassen. Auf der anderen Seite kann die Flexibilität, sich auch in Staatsanleihen zu engagieren, dem Liquiditätsprofil eines Anlegers zugute kommen.
Aber selbst das Investieren in liquidere Anlagen erfordert Geduld – es dauert, bis sich gute Gelegenheiten bieten oder notleidende Positionen Früchte tragen. Gleichzeitig müssen die Anleger in der Lage sein, grosse Positionen aufzubauen, wenn sich Chancen auftun.
Alles in allem sind notleidende Anleihen ein Markt, an dem umfangreiche Erfahrung wichtig ist, nicht nur, um die nötigen Kontakte aufzubauen, sondern auch, um Chancen an den verschiedenen Stellen im Konjunkturzyklus zu erkennen.
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